Nervig! – Die Ausstellung

Gehirn und Nervensystem koordinieren die bewussten und unbewussten Funktionen des Körpers: Die Sinne, so wesentliche Empfindungen wie Schmerz, das Denken und Handeln, aber auch Emotionen und „das Unbewusste“ sind „in den Nerven“ verortet.

Das große Interesse  an Anatomie und Physiologie des Nervensystems ist, zumindest seit es medizinische Aufzeichnungen gibt, dokumentiert. Dieses Wissen wurde durch Verletzungen und Erkrankungen, durch praktische Kenntnisse um die Balsamierung und Mumifizierung von Verstorbenen, aber auch durch – mehr oder weniger – empirische Forschung gewonnen und laufend erweitert.

Die Lokalisation von verschiedenen Funktionen – etwa diejenige der Sinne, deren Aufgabe es ist,  Wahrnehmungen aus der Außenwelt und dem Inneren Körpers zusammen zu führen und zu verarbeiten, ist ein Konzept, das sich als roter Faden durch die Geschichte der Neurologie verfolgen lässt. In unserer Ausstellung haben wir einige Schlaglichter auf diesen sehr langen „roten Faden“ geworfen und einzelne Aspekte herausgegriffen

Im Wesentlichen ist diese Ausstellung ein Ergebnis von Lehrveranstaltungen, die im Studienjahr 2016/2017 am Institut für Geschichte der Universität Wien abgehalten wurden. Hierbei haben die Studierenden in erster Linie die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen erarbeitet, die zur Entwicklung von Spezialfächern beitrugen, indem u.a. wissenschaftliche Denkweisen gefördert oder aber auch verhindert wurden. Einige junge und arrivierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben zusätzliche Aspekte beigesteuert, die auch Themen wie die Behandlung von neurologischen Erkrankungen, die neurologische Pflege und die Rehabilitation nach Verletzungen des Nervensystems im historischen Kontext vorstellen.

Wichtig ist uns hierbei zu vermitteln, dass Wissensproduktion und Wissensweitergabe, aber auch die aktuellen Denkweisen und Interpretation von Fakten, wie etwa der Anatomie des Nervensystems, im historischen Kontext zu sehen sind und von den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängen. Ein wesentlicher Faktor sind aber auch die technischen Möglichkeiten, die in der Diagnostik und Therapie sowie in der Pflege und Rehabilitation zum jeweiligen Zeitpunkt genützt werden können.

Kurator: DI Dr. Markus Swittalek

Konzept: PD Mag.DDr. Sonia Horn

 

Die Ausstellung wird „physisch“ zur Langen Nacht der Forschung am 13.4.2018 in der „stable gallery“ (Franz-Josefs-Kai 43, 1010 Wien) eröffnet und dort bis Ende September 2018 verbleiben.

Interessierte finden in der „virtuellen“ Ausstellung zusätzliche Informationen. Fragen und Rückmeldungen zu den einzelnen Beiträgen werden gerne entgegen genommen.

Beiträge

Sonia Horn – Von den Orten des Denkens und Fühlens

In der Österreichischen Nationalbibliothek befinden sich einige Handschriften eines sehr bekannten medizinischen Textes des Spätmittelalters. In einem dieser Manuskripte befindet sich eine enorm seltene Zeichnung der Lokalisation der Sinne und der Hirnfunktionen, auch des Denkens und Fühlens.

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Alessandra Quaranta – Trienter Ärzte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Kuren und Behandlungen von Nervenbeschwerden

Der Vortrag macht es sich zur Aufgabe, wie verschiedene Ärzte aus Trient, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an den habsburgischen Kaiserhöfen in Wien und Prag beschäftigt wurden, die Nervenbeschwerden behandelten. Dazu wurden ein geeignetes Ernährungsverhalten sowie Medikamente pflanzlicher Natur verschrieben. Diese Kuren wurden im Hinblick des damaligen umfassenden medizinischen Wissens verwendet.

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Michael Schober – Der Fall Gall. Wissenschaft und Staat im Widerstreit.

Der deutsche Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) gilt als Begründer der heutigen Pseudowissenschaft Phrenologie. In damaligen wissenschaftlichen Kreisen wurde seine in Wien entwickelte Schädellehre kontrovers diskutiert. Diese Lehre propagierte Gall in eigenen Privatvorlesungen, welche später Kaiser Franz II. persönlich verbot. Ein Widerstreit zwischen Wissenschaft und Staat entbrannte am Fall Gall.

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Katharina Ohler – Theoriegrundlegung und Methodenausrichtung
Betrachtungen zu Franz Josef Gall und Karl August Blöde

Betrachtet werden zwei Publikationen zum Thema Franz Josef Gall, seine Ansichten zur praktischen Heilkunde und der von ihm eingeführten Schädellehre.
Im ersten Abschnitt wird Galls Theoriegrundgerüst und die Grundlage für sein späteres Wirken als Vortragender und Mediziner betrachtet. Die Aufzeichnung von Karl August Blöde in Dresden zum Thema der Organologie und Schädellehre wird im zweiten Abschnitt behandelt.

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Michael Huber – Lokalisationsspekulation. Galls Hirnorgane

Franz Joseph Gall (1758–1828) ist der Begründer der Schädellehre. Nach Gall verformen Regionen der Hirnrinde – wo er die verschiedenen Grundeigenschaften des Menschen lokalisierte – die Schädeldecke auf eine Weise, die den Charakter eines Menschen durch Kopfbetastung von außen erkennbar macht. Mit Gall wurde ein funktional differenzierter Gehirnaufbau zum neuen, wegweisenden Ausgangspunkt der Hirnforschung.

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Markus Oppenauer – Anatomie um 1800 – auch eine „Nervensache“

Anatomisch-pathologische Sammlungen und Museen um 1800 waren Schlüsselfelder medizinischer Aktivität und Kooperation. Die Arbeit mit Präparaten berücksichtigte alle Teile des menschlichen und tierischen Organismus – so auch die Nerven. Konkrete Beispiele zeigen, wie das Thema „Nerven“ in der Medizin des späten 18. Jahrhunderts diskutiert wurde.

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Bernhard Leitner – Transnationale Denkkollektive und die Geburt der Neurologie

Nachdem Heinrich Obersteiner 1882 in Wien das erste Neurologische Institut der Welt gegründet hatte, zog es bald Mediziner aus ganz Europa an. Besonders viele Gastwissenschaftler kamen in den 1890er Jahren aber erstaunlicherweise vom anderen Ende der Welt: aus Japan. Speziell die Publikationen in Obersteiners Journal sollten japanischen Wissenschaftlern schnell zum internationalen Durchbruch verhelfen.

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Thomas Rohringer – Von Apparaten, Nerven und Gefühlen. Physio- und Arbeitstherapie für Kriegsverletzte 1914-1918

Wie sollte mit den Soldaten umgegangen werden, die im Krieg Gliedmaßen verloren, Gesichtsverletzungen oder Lähmungen davongetragen hatten? Im Zentrum des Vortrages stehen die Therapiemethoden, die Ärzte im Verlauf des Ersten Weltkrieges entwickelten. Es ging ihnen nicht nur um die Wiederherstellung der körperlichen Arbeitsfähigkeit der betroffenen Soldaten, sondern auch um eine positive Beeinflussung ihrer Emotionen.

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Renate Gruber – Pflege in der Neurologie

Die Pflege von Menschen mit neurologischen und psychischen Erkrankungen hat einen tiefgreifenden Wandel erlebt. Ihre Betreuung in der Frühen Neuzeit ist durch überlieferte Aufnahmeverzeichnisse von Spitälern und Totenprotokolle belegt – spezielle Pflegekonzepte wie das Bobath-Konzept für die Betreuung von Menschen mit Halbseitenlähmung wurden allerdings erst viel später entwickelt.

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