Michael Schober – Der Fall Gall. Wissenschaft und Staat im Widerstreit.

Der deutsche Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) gilt als der Begründer der heutigen Pseudowissenschaft Phrenologie. Nichtsdestotrotz wird er aber auch gegenwärtig als Vater der modernen Neurowissenschaften gehandelt. Seine Lehre über die Lokalisierung von geistigen Fähigkeiten zu bestimmten Arealen des Gehirns war für die damalige Medizin revolutionär und wurde kontrovers in den wissenschaftlichen Kreisen jener Zeit diskutiert. Der Einfluss von Galls Lehre auf die spätere Wissenschaft und Forschung in diesem Bereich der Medizin ist nicht zu unterschätzen. Umso erstaunlicher ist es aber, dass bis heute keine genaue und einheitliche Biographie über Gall vorliegt. Mehr noch, viele Aspekte seiner Lebensumstände und der Kontext der Entstehung seiner Lehre erscheinen in der wissenschaftlichen Literatur unterrepräsentiert und liegen im Dunklen. Dabei zeigt aber gerade die Verbreitung seiner Theorien durch Privatvorlesungen, sowie das spätere Verbot dieser Vorträge durch Kaiser Franz II. höchstpersönlich, welche Ausmaße seine Lehre annahm und welche Wellen sie dabei schlug. Damit ist die Bedeutung dieses Falls für die Beziehung zwischen Wissenschaft und Staat in Österreich um 1800 mehr als erstaunlich. Vielmehr ist Gall dadurch ein Präzedenzfall für ein schwieriges Verhältnis zwischen freier Wissenschaft und vorgegebener Staatspolitik, welches anscheinend immer wieder neu verhandelt werden muss. Wodurch die Umstände der Entstehungsgeschichte seiner Lehre und die Biographie Galls bis heute aktuell sind. Durch eine genaue und quellenkritische Analyse des überlieferten historischen Quellenmaterials und der heute zugänglichen Literatur kann nun hier mehr Licht in den Fall Gall gebracht werden. Der vorliegende Beitrag ist ein eigenständiger Teil einer gemeinsamen Forschungsarbeit und einer gemeinschaftlichen Recherchearbeit.

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