Ungetauft verstorbene Kinder in der Frühen Neuzeit

Tod ungetaufter Kinder

Was passiert mit jenen Kindern, die ohne Taufe versterben? Wie ist es um ihr Seelenheil im Jenseits bestellt? Welche Befürchtungen, welche Ängste plagten die Eltern? Und vor allem, nach welchen Auswegen suchten sie, um ihrem ungetauften toten Nachwuchs doch noch das Himmelstor zu öffnen? Die Antworten auf diese Fragen sind eng verbunden mit Tradition und regionalem Brauchtum, aber immer auch vor dem Hintergrund der strengen und unbarmherzig wirkenden kirchenrechtlichen Vorschriften, den Tod Ungetaufter betreffend, zu sehen. Sich mit dem Tod eines ohne Taufe verstorbenen Kindes auseinanderzusetzen, war keine Problematik, die auf einzelne Bevölkerungsgruppen beschränkt blieb. Aufgrund der hohen Kindersterblichkeit waren nicht wenige Eltern gezwungen, sich mit dieser Materie früher oder später zu beschäftigen, egal welchen gesellschaftlichen Schichten sie angehörten. Auch Martin Luthers (1483-1546) eigene Überlegungen zu dieser Thematik, wiedergegeben in „Ein Trost den Weibern, welchen es ungerade gegangen ist mit Kindergebären“ (1541) dürften teilweise von persönlicher schmerzvoller Erfahrung beeinflusst worden sein, hatte doch seine Frau Katharina von Bora ebenfalls eine schwierige Fehlgeburt erlitten.

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Abb.1. Votivtafel aus Südtirol (1773). Hier wird noch einmal eindringlich die hohe Kindersterblichkeit vor Augen geführt.

Nach kirchlicher Lehrmeinung haftete ungetauft verstorbenen Kindern noch der Makel der Erbsünde an. Ohne Taufe wurde ihnen sowohl eine würdige Beisetzung, Ritualbücher verboten eine kirchliche, feierliche Bestattung mit Gebeten (das „Rituale Viennense“, 1774, zählte die „infantibus mortuis absque Baptismo“ eindeutig zu jenen Verstorbenen, „quibus non licet dare ecclesiasticam sepulturam“), als auch eine selige Bleibe im Jenseits verwehrt. Als ihr Aufenthaltsort galt der „Limbus puerorum“. Ein Ort zwischen Himmel und Hölle, von dem es keine Erlösung gab. Die Hinterbliebenen konnten, anders als beim Fegefeuer, selbst durch Gebete und Almosenspenden, das Schicksal der Kinder nicht mehr zum positiven wenden. Gegen diese rigorose und unerbittlich anmutende Haltung der katholischen Kirche wetterte nicht nur Martin Luther in seinen Ausführungen zum Thema Taufe, auch andere Gelehrte und Theologen der neuen Glaubensrichtung, gingen mit dieser strengen Jenseitsvorstellung teilweise hart ins Gericht. Nach evangelischem Glauben war es keineswegs zwingend, dass ein ungetauftes Kind nicht in den Himmel kommen konnte.

Wohl um betroffene Eltern etwas zu trösten und Gerüchte von einem grausamen, beängstigenden Schicksal, welches ohne Taufe verstorbene Kinder im „Limbus“ erwarten würde, zu relativieren, versuchte man diesen im Laufe der Theologiegeschichte in einem milderen Licht darzustellen. Zwar blieben die Kinderseelen im „Limbus puerorum“ von der Gottesschau ausgeschlossen, aber weder hätten sie dort Schmerz oder Leid zu ertragen (bereits Augustinus wollte sie nur mit einer „poena mitissima“ belegen), noch wären sie gezwungen in vollkommener Finsternis zu verharren. Ob es für Mütter und Väter aber tatsächlich beruhigend oder gar tröstlich war ihre verstorbenen Kinder an jenem Aufenthaltsort zu wissen, mag bezweifelt werden. Alle Bestrebungen, sei es bereits während der Schwangerschaft, in der Entbindung, oder sogar noch danach, durch eine Taufe „post mortem“, lassen die tiefe Sorge der Eltern um das Seelenheil ihres Nachwuchses erkennen.

Ohne Taufe sah sich das Kind einer ambivalenten Zukunft gegenüber. Auf der einen Seite hielt sich der Glaube, dass das Kind selber bedroht war (ohne Taufsakrament war es schutzlos bösen Mächten ausgeliefert). Hexen oder der Teufel hatten leichter darauf Zugriff. Auf der anderen Seite konnte es für die Hinterbliebenen selber zur aktiven Bedrohung als Schaden bringender „Wiedergänger“ werden. Der Volksmund wollte wissen, dass solche Kinder an bestimmten Tagen (z.B. in Raunächten) als Spukgeister, Irrlichter oder auch als Teilnehmer des „Wilden Heeres“ mit ohrenbetäubendem und Furcht einflössendem Lärm ins Diesseits zurückkehrten, sei es um nicht Beendetes zum Abschluss zu bringen oder die Lebenden um Erlösung zu bitten. Diese gespenstisch anmutenden Vorstellungen fanden Eingang in zahlreiche Märchen und sagenhafte Geschichten und blieben über Jahrhunderte hindurch volkstümliches Gedankengut. Auch in der bildenden Kunst bediente man sich solcher Sujets. Besonders im 19. Jahrhundert ließen sich viele Maler bei ihren Bildern von unheimlichen Geschichten und Märchen anregen, darunter auch die überlieferten populären Vorstellungen von ungetauften toten Kindern, die keine Ruhe fänden und als Irrlichter oder „Wiedergänger“ bedrohlich umherzogen. Ein Beispiel hierfür ist Arnold Böcklins Bild „Das Irrlicht“ (1862), welches im Begleittext zu einer Ausstellung wie folgt kommentiert wurde: „Irrlichter, so wird erzählt, sollen die Seelen von nicht getauften Kindern sein, die Menschen in der Nacht als Lichterscheinungen absichtlich ins Moor locken. Dieses Bild zeigt die märchenhafte Stimmung einer solchen geheimnisvollen Begegnung, die zugleich Lebensgefahr bedeutet.“

Böcklin Irrlicht

Abb.2. Arnold Böcklin: „Das Irrlicht“ (1862). Im Begleittext zur Ausstellung
„Edvard Munch und das Unheimliche“ 
(Leopold Museum Wien 2009/10)
wurde das Bild wie folgt kommentiert: „Irrlichter, so wird erzählt,
sollen die Seelen von nicht getauften Kindern sein, die Menschen in der Nacht
als Lichterscheinungen absichtlich ins Moor locken. Dieses Bild zeigt die märchenhafte Stimmung
einer solchen geheimnisvollen Begegnung, die Zugleich Lebensgefahr bedeutet.“

Von Seiten der Angehörigen schien man keineswegs bereit, sich diesem Schicksalsschlag kommentarlos zu ergeben. Um seinem ohne Taufe verstorbenem Kind, doch noch den Weg in den Himmel zu eröffnen, wurde versucht, alle zur Verfügung stehenden Mitteln, die Volksmedizin und religiöses Brauchtum anboten, auszuschöpfen. Eine Möglichkeit hierfür war das Aufsuchen eines Wallfahrtsortes. Zahlreiche Mirakelberichte und Votivtafeln zeugen immer wieder von Begebenheiten, wo Kinder zunächst ohne Lebenszeichen geboren worden waren. Erst nach Verlobung zu einem Wallfahrtsort „erwachten“ sie für eine kurze Zeitspanne „zum Leben“. In diesem Zeitraum konnten sie getauft und somit in geweihter Erde beigesetzt werden. Als solche „Lebenszeichen“ wertete man u.a.: Bewegungen des Mundes, der Lippen, Zuckungen der Glieder, Öffnen der Augenlider, Wechsel der Hautfarbe, Schwitzen oder Nasenbluten. Bei diesen „Erweckungswundern“ war in erster Linie der Empfang des Taufsakraments wichtig und beruhigend für die Eltern. Dass die Kinder anschließend gleich wieder „verstarben“, war sekundär, erhoffte man für sie doch in erster Linie das Heil im Jenseits, weniger in der diesseitigen Welt.

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Abb.3. Ausschnitt einer Osttiroler Votivtafel (1680). Wiederbelebung eines totgeborenen Kindes.

Wallfahrten mit totgeborenen oder gerade verstorbenen Kindern waren Phänomene, die großteils zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert nachweisbar waren. Es gab sie in vielen Ländern Europas, u.a. in Frankreich, der Schweiz, Deutschland, Österreich, aber auch in Tschechien oder Polen. Erweckungen von verstorbenen Kindern fanden auch in mehreren Wallfahrtskirchen in Niederösterreich statt. Die bekannten Marienwallfahrtsorte Maria Taferl, Maria Dreieichen oder Maria Langegg wurden im 18. und sogar noch im 19. Jahrhundert von besorgten Eltern mit ihren toten Kindern aufgesucht, um die kurzzeitige Erweckung zur Taufe zu erbitten. Dieses spezifische Motiv dürfte, verglichen mit anderen Anlässen für eine Wallfahrt, hier allerdings nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Regelrechte „Auferweckungszentren“, wie z.B. Ursberg, in der Nähe von Augsburg (von 1686-1720 sollen dort nicht weniger als 24.000 Kinder „zum Leben erweckt“ und getauft worden sein) waren für Niederösterreich nicht nachzuweisen.

Oft waren Schwierigkeiten in der Schwangerschaft oder eine problematische Entbindung auslösende Motive sich an einen Wallfahrtsort zu verloben. Aufzeichnungen in Mirakelbüchern illustrieren, genauso wie die vielen Votivtafeln, dass man sich mit Krankheiten aller Art an Heilige, vorrangig die Gottesmutter Maria, wandte und ihr heilsames Eingreifen erhoffte. Besonders bei Seuchen, insbesondere der Pest, versuchte man sich unter den Schutzmantel himmlischer Mächte zu begeben um Beistand und Hilfe zu erflehen. In der Wallfahrtskirche Maria Langegg etwa, finden sich noch zahlreiche Votivbilder von Gläubigen, die aus Dank für die Errettung von der Pest gestiftet worden waren.

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Abb.4, 5. Votivtafeln aus der Wallfahrtskirche Maria Langegg.

Welch ungewöhnlicher Mittel man sich neben Wallfahrten noch bediente, um das Seelenheil Ungetaufter zu sichern, zeigt das Begraben toter Kinder entlang der Trauflinie von Kirchendächern. Durch das herabtropfende Wasser sollten sie noch „post mortem“ getauft werden. Diese außergewöhnliche Form der Bestattung mag als Manifestation einer letzten elterlichen Fürsorge gewertet werden. Besonders am Land hielt sich der Glaube, wenn der Priester in der Kirche das Taufwasser segne, würde diese Weihung auch das herabtropfende Regenwasser mit einschließen. Regenwasser allgemein wurden besondere heilkräftige Fähigkeiten nachgesagt, kam es doch vom Himmel, aus unmittelbarer Nähe von Gott. „Traufkindbestattungen“ sind eher für reformierte Gebiete nachzuweisen (z.B. im Kanton Bern). Neuere Grabungen belegen diese ungewöhnliche Bestattungsform auch für österreichische Gegenden (Gossam, Göttweiger Berg). Nicht nur Kleinkinder fanden unter der Dachtraufe ihre letzte Ruhestätte. Archäologische Funde zeugen von verstorbenen Schwangeren, für die diese besondere Form der Bestattung gewählt wurde. Schriftliche Quellen, wie z.B. die „Wienerische Kirchenzeitung“ (1785), die in diesem Zusammenhang von “lächerlichsten und abergläubigsten Abtheilungen auf den Kirchhöfen“ spricht, äußern sich diesbezüglich mehr als kritisch.

Wachsmodell

Von kirchlicher Seite wurde alles unternommen, um so wenig Kinder als möglich ungetauft versterben zu lassen. Bereits bei der Entbindung sollten die entsprechenden „heilsfördernden“ Schritte in Form von Nottaufen gesetzt werden. Ritualbücher lieferten genaueste Instruktionen, um den korrekten Vollzug einer solchen Taufe zu gewährleisten. Im katholischen Bereich war jeder Laie verpflichtet die Nottaufe zu spenden. Bestand akute Lebensgefahr für das Kind, war es sogar gestattet nur einzelne Glieder, die zuerst aus dem Körper der Mutter herausragten, zu taufen, selbst wenn dieses nur ein Fingerlein oder ein Füßlein sein sollte. In einem solchen Fall wurde die Taufe „sub conditione“ vollzogen: „Wenn du fähig bist, so taufe ich dich im Namen des Vaters […]“. Im „Rituale Viennense“ (1774) schien man die Hebammen auf alle Eventualitäten vorbereiten zu wollen, selbst auf die Taufe von „Molen“: So „sollen auch die kleinsten unzeitigen Geburten, ob sie schon noch in dem Häutlein eingeschlossen, wenn sie auch nur einige Tage von der Empfängniß alt, und nicht augenscheinlich verfaulet sind, wie auch alle Monkinder oder Mola, von ihnen getauft werden, unter dieser Bedingniß:
Wenn du fähig bist […]“. Mit größtem Bedacht wurde empfohlen, sooft als möglich von der Taufe Gebrauch zu machen. Kein Kind, und sei es auch noch nicht einmal vollständig entwickelt, sollte um das Seelenheil gebracht werden. Das Taufen einzelner Körperteile wurde in lutherischen Hebammenordnungen ausdrücklich zurückgewiesen, denn, wie u.a. Adam Lonitzer (1528-1586), Stadtphysikus in Frankfurt/M., in seiner Ordnung für die Hebammen präzisierte, “dieweil die Tauff ein Badt der widergeburt in der Heyligen Schrifft genennet wirdt / so muß das Kindtlin zuvor geboren / unn gar von der Mutter kommen sein“. Im Luthertum war die Taufe nicht das alleinig Seligmachende. Eltern konnten ihr Kind durch das innige Gebet Gott anempfehlen und diesem so, falls eine Taufe nicht mehr möglich war, das Himmelstor öffnen. Die Nottaufe durch Laien sollte eher die Ausnahmeerscheinung bleiben. Erst bei drohender Lebensgefahr war es der Hebamme gestattet mit dem Taufritual zu beginnen. In jedem Fall sollte aber zuvor nach einem Geistlichen geschickt werden.

War es jedem Katholiken und Lutheraner erlaubt eine Nottaufe zu vollziehen, wurde diese Handhabung nach reformiertem Glauben in weiterer Folge abgelehnt. Einzig Geistliche waren berechtigt das Sakrament zu spenden. Eine Nottaufe schien auch nicht mehr zwingend erforderlich. Im Zuge der Reformation von 1528 wurde auch ungetauft Verstorbenen die Erlangung des Seelenheils in Aussicht gestellt und sie hatten, anders als im katholischen Bereich, Anspruch auf ein christliches Begräbnis. Das Phänomen der zahlreichen, im Berner Raum gefundenen „Traufkinder“, offenbart allerdings den Zwiespalt, in dem sich manche Teile der Bevölkerung befunden haben müssen. Trotz der günstigen Jenseitsprognose schien man mitunter immer noch auf eine Taufe „post mortem“ zu setzen. Allen Bemühungen der Reformatoren zum Trotz, wurden zur Entbindung teilweise auch immer noch katholische Hebammen geholt, die den Säugling bei drohender Lebensgefahr taufen sollten. Ortsansässige calvinistische Geistliche erkannten diese zwar als nicht gültig an, für die betroffenen Eltern mag es dennoch als tröstlich empfunden worden sein, ihr Kind getauft zu wissen.

Etwa ab Beginn des 16. Jahrhunderts waren gedruckte Hebammenbücher käuflich zu erwerben. Ein bedeutendes Buch zur Geburtshilfe verfasste der Frankfurter Stadtarzt Eucharius Rösslin (~1470-1526) mit „Der schwangeren Frawen vnd Hebammen Rosengarten“ (1513).

Eucharius Eucharius

Abb.6, 7. Eucharius Rösslin: „Der schwangerenn Frawen und Hebammen Rosengarten“

Ein weiteres, ebenfalls auf große Resonanz stoßendes Werk, dessen Instruktionen und Ausführungen Eingang in zahlreiche Hebammenordnungen fanden, war die 1554 publizierte Abhandlung des Züricher Chirurgen Jakob Rufs (1505/6-1558). In seinem „Ein schön lustig Trostbüchle von den empfengknussen und geburten der menschen / unnd iren vilfaltigen zufälen und verhindernussen (etc.)“ widmete er u.a. ein eigenes Kapitel sog. „Wundergeburten“ („monstra“). In diesem Zusammenhang ist nun auch der Aspekt der Taufe von Interesse. Wurde sie missgebildeten Kindern ebenso gespendet wie Gesunden? Die katholische Kirche hatte auch für solche Fälle genaueste Anweisungen parat. Im „Rituale Viennense“ etwa, wird der ordnungsgemäße Vollzug der Taufe von Missgeburten bis ins kleinste Detail dargelegt. Galt es z.B. ein Kind mit zwei Köpfen notzutaufen, sollte die Hebamme „die Mißgeburt in einem Kopfe ohne Bedingniß, im andern Kopfe aber mit Bedingniß taufen, und sprechen: Wenn du nicht getaufet bist, so taufe ich dich […]“. Bestanden generelle Zweifel, ob es sich bei einer missgebildeten Gestalt tatsächlich um ein menschliches Wesen handelte, war auch hier die Bedingungstaufe anzuwenden („Monstrum, quod humanam speciem non praeseferat, baptizari non debet: de quo si dubium fuerit, baptizetur sub hac conditione: Si tu es homo, ego te baptizo &c.“).

Trostbuechlein Trostbuechlein

Abb.8, 9. Jacob Ruf: „Ein schön lustig Trostbüchle von den empfengknussen und geburten der menschen,
und iren vilfaltigen zufälen und verhindernussen etc.“ (Zürich 1554)

Wie war zu handeln, wenn die Mutter während der Geburt des Kindes versterben sollte, um das Ungeborene doch noch taufen zu können? In Ritualbüchern fand sich die Anweisung bei Tod der Mutter den Fötus sobald als möglich vorsichtig herauszuziehen. War dieser lebendig, sollte er getauft werden. Konnte dagegen kein Lebenszeichen gefunden werden und eine Taufe somit nicht möglich sein, war er von der Bestattung in geweihter Erde ausgeschlossen. Auch Hebammenordnungen empfahlen bei Tod der Mutter dieser den Bauch zu öffnen, um so dem Kind, wenn möglich, das Überleben zu sichern. Den Kaiserschnitt sollte die Hebamme allerdings nur im Notfall selbst durchführen. Gemeinhin war sie angewiesen, schon zu rechter Zeit um einen Wundarzt zu schicken, der diese Aufgabe übernehmen sollte. Erst wenn kein solcher erreichbar war, sollte sie die Operation selbst durchführen. In diversen Hebammenordnungen liest man immer wieder von der Aufforderung, mit dem Kaiserschnitt zu warten, bis die Frau verstorben war. Eine bemerkenswerte Begebenheit aus dem Jahr 1549, wo man daranging den Schnitt bei einer noch lebenden Frau durchzuführen, schildert der Mediziner Mathias Cornax. Wundärzte und Doktoren kamen nach eingehender Beratung überein, einer jungen Wienerin, die mehrere Jahre ein totes Kind im Bauch getragen hatte und deren Gesundheitszustand sich immer mehr verschlechterte, den Leib zu öffnen, um es von diesem zu entledigen. Dieses beeindruckende Beispiel illustriert, dass ein solch riskanter Eingriff auch überlebt werden konnte. Cornax hoffte nicht nur auf die tröstliche Wirkung dieser Geschichte für Frauen in ähnlichen Situationen, er wollte sie auch als Anregung für Wundärzte verstanden wissen, öfters vom Kaiserschnitt Gebrauch zu machen. Trotz des unzweifelhaft hohen Risikos, wäre dies doch allemal besser als „dergleichen betrübte weiber verderben“ zu lassen.

Cormaz

Abb.10. Kaiserschnitt. Mathias Cornax:

„Ein seltzam warhaftig geschicht, von einer Mitburgerin zu Wienn, welche bey vier jaren ein todt Kindt im leib tragen, das nachmals im 1549. Jar den 10. Novembris von ir durch den leib geschnitten worden, unnd sy durch die gnad Gottes bey leben bliben, verhailt, und gesundt worden ist“ (Wienn 1550).

War man gewiss, dass ein Kind im Mutterleib nicht mehr lebendig war, sollte bei Strafandrohung alles unternommen werden, um dieses aus dem Bauch der Mutter zu bringen, möglichst ohne diese zu verletzen. Traten bei der Geburt gravierende Probleme auf, wurde empfohlen, die Frucht mit scharfen Instrumenten zu zerstückeln und so anschließend aus dem Geburtskanal zu befördern. Solche Methoden, die bei sehr schwierigen Geburtsvorgängen bisweilen zum Einsatz kamen, zeigen die ganze Hilflosigkeit der handelnden Personen. Rösslin sprach in seinem „Rosengarten“ von „zweierlay weg“ um ein totes Kind aus dem Leib der Mutter zu befördern. „Zum ersten mit artzneyen / on schneyden und zerreyssen des todten kindes. Zum andern mal / so kein artzney helffen will“, empfahl auch er die Anwendung von „hocken eysen zangen unnd andern gezeugen darzu gemacht“. Musste die Hebamme oder der Arzt auf so deprimierende Art und Weise in den Geburtsvorgang eingreifen und wurde der tote Fötus mit Hilfe eines Hakens aus dem Uterus befördert, war die Gefahr einer Blutung oder einer Infektion der Gebärenden entsprechend hoch. Votivtafeln zeigen auch hier, dass man gerade in solch prekären Situationen versuchte, sich himmlischer Unterstützung zu versichern.

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Abb.11. Votivtafel. Hier wird die ganze Dramatik einer Fehlgeburt illustriert.
Neben der Frau am Tisch sind noch der Fötus und der zum Abbruch der Schwangerschaft verwendete Haken abgebildet.

Welche Anstrengungen unternommen wurden, um ein Kind nicht ohne Taufe sterben zu lassen, zeigt die Praxis, Kinder, wenn Lebensgefahr bestand, sogar „in utero“ zu taufen. Mit Hilfe der Taufspritze, 1766 von Parolini entwickelt, sollte dies noch einfacher zu bewerkstelligen sein.

Verstarb ein Kind trotz aller Vorsichtsmassnahmen ohne Taufe, konnten sich Hinterbliebene Worte des Trostes erwarten? Die divergierenden Auffassungen und Herangehensweisen der verschiedenen Religionsbekenntnisse, was das Seelenheil Ungetaufter betraf, spiegeln sich auch in diversen Trost- und Gebetbüchlein wieder. Im evangelischen Bereich findet sich Erbauungsliteratur, die sich eigens an Eltern richtete, welchen ihr Kind ungetauft verstorbenen war (z.B. Johann Zumpf: „Nothwendiger vnnd Tröstlicher Bericht von den Kindlein Christlicher Eltern welche entweder in Mutterleib oder in der harten Geburt oder auch alsbald nach der Geburt ohne die H.Tauffe dahin sterben sampt etlichen andern hierzu gehörigen lehren“, 1623).

Text

Abb.12. Johann Zumpf: „Nothwendiger vnnd Tröstlicher Bericht von den Kindlein Christlicher Eltern welche entweder in Mutterleib oder in der harten Geburt oder auch alsbald nach der Geburt ohne die H.Tauffe dahin sterben sampt etlichen andern hierzu gehörigen lehren“ (Lintz 1623).

War von elterlicher Seite alles menschenmögliche unternommen worden und Gott gefiel es dennoch, das Kind ohne Taufe von dieser Welt abzuberufen, versuchten Trostbüchlein den frommen Eltern auf die quälende Frage nach dem „Warum“ verschiedene Antwortmöglichkeiten anzubieten, versehen mit biblischen Verweisen, aus welchen die Hinterbliebenen Zuversicht und Trost schöpfen konnten. Es wurde den Eltern zugestanden mit dem Schicksal zu hadern, aber am Ende stand die Empfehlung, sich in Gottes Willen zu schicken und seine Entscheidung mit Demut zu akzeptieren. Auch konnten Vater und Mutter, sofern sie sich nicht vorher an ihrem Kind schuldig gemacht hatten, sei es durch Vernachlässigung im Gebet, offensichtlichem Fehlverhalten während der Schwangerschaft, oder bewusstem Hinauszögern der Taufe, gewiss sein, ihr Nachwuchs wäre sicher bei Gott im Himmel. Dieser tröstliche Faktor war im katholischen Bereich nicht gegeben. Hier galt das Dogma, nur „das Sakrament der heiligen Taufe allein kann diese Geschöpfe dem ewigen Untergange entreißen, und ihnen die Pforten der Himmel eröfnen“ („Rituale Viennense“). Bereits im Vorfeld sollten schwangere oder gebärende Frauen durch das Aufsagen erbaulicher Gebete eine „glückliche Geburt“ mit Möglichkeit zur Taufe erflehen.

(Ein Text von Petra Lindenhofer)

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Abbildungen:

Abb.1, 11: Wilhelm Theopold, Votivmalerei und Medizin. Kulturgeschichte und Heilkunst im Spiegel der Votivmalerei (München 1978).

Abb.2: Michael Fuhr, Edvard Munch und das Unheimliche (Wien 2009). Ausstellung im Leopold Museum, Wien 16.10.2009 – 18.01.2010.

Abb.3: Kulturraum Tirol. Votivbild-Wiederbelebung eines totgeborenen Kindes, online unter: http://www.kulturraumtirol.at/index.php?id=127&tx_ttnews[tt_news]=51&cHash=69306d1cac (05.08.2012)

Abb.4, 5: Josephinum Wien

Abb.6, 7: Bayerische Staatsbibliothek München: Eucharius Rösslin, Der schwangerenn Frawen vnd Hebammen Rosengarten (Augspurg 1530), online unter: http://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A%2F%2Fdaten.digitale-sammlungen.de%2F~db%2Fmets%2Fbsb00027287_mets.xml (05.08.2012).

Abb.8, 9: Bayerische Staatsbibliothek München: Jacob Ruf, Ein schön lustig Trostbüchle von den empfengknussen und geburten der menschen, und iren vilfaltigen zufälen und verhindernussen etc. (Zürich 1554), online unter: http://dfg-viewer.de/show/?set[mets]=http%3A%2F%2Fdaten.digitale-sammlungen.de%2F~db%2Fmets%2Fbsb00024324_mets.xml (05.08.2012).

Abb.10, 12: Österreichische Nationalbibliothek Wien

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